Ein glänzend Ding (2007-2009)
Ein glänzend Ding (Auswahl)
Der Entstehungskontext
Wahrnehmung, Wirklichkeit und Sprache
standen schon immer im Mittelpunkt meines Interesses.
Vor diesem Hintergrund beschäftige ich mich mit der Wahrnehmung der Dinge.
Ich begebe mich auf die Suche nach der dinglichen Aneignung von Wirklichkeit,
indem ich beobachte, Form und Plastizität der Dinge betrachte und be-greife, ihre Umgangsqualitäten spielerisch erfahre, die Alltagsgegenstände „fremdsehe“ und
in einem neuen Zusammenhang sprechen lasse.
Die Anordnung und Aneinanderreihung von Objekten,
die sich in ihrer Gestalt ähneln, spielen eine wesentliche Rolle. Sie setzen in mir einen gedanklichen und handelnden Prozess in Gang, der mich zu ornamentalen Friesen führt. Indem sich ihre einzelnen Bestandteile in einem neuen Kontext präsentieren, entfernen sie sich von ihrer ursprünglichen Bestimmung.
Ich entdecke sie neu.
Mit der digitalen Fotografie
halte ich das gegenständliche Material auf der Bildfläche fest – mache es dingfest; gleichzeitig gewinnt es abstrakten Charakter. Einerseits treffe ich eine Auswahl aus den unendlichen Variationsmöglichkeiten der Zu- und Anordnung der Dinge im Fries und vollziehe damit eine Engführung. Andererseits erschließt sich mir ein weites Experimentierfeld.
Textile Stoffe, farbiges Papier und Folien
verwende ich als Hinter- und Vordergrund. Die entstehenden Faltungen und Schichtungen schaffen Transparenz und Verschmelzung von Farbtönen und Figur und Grund. Den fotografischen Aneinanderreihungen liegen tatsächliche Fotografien und keine digitalen Bearbeitungen zugrunde.
Die Bildträger – Papier, Pergament und Folie –
bringen das fotografische Material und seinen Inhalt als Reflektion meines Wahrnehmens und Handelns in verschiedenartiger Bildlichkeit zum Ausdruck.
In der Übertragung der Fotografien auf textile Bildträger
verbirgt sich meine Rückbesinnung auf Wahrnehmungserfahrungen im Prozess des Begreifens der realen Materialien.
Der Materialität und Sinnhaftigkeit der Bilder
begegne ich schließlich auf der Ebene der Sprache. Ich verweise mit dem „glänzend Ding“ zurück auf die verschiedenen Dimensionen der dinglichen Wahrnehmung von Wirklichkeit (Oberfläche, Form, Plastizität, Funktion, …) und das wechselseitige Bestimmungsverhältnis von Sprache, Dinglichkeit, Funktion und Bildlichkeit.
In der Kreuzkirche
Es stellt eine Herausforderung dar, für die älteste Kirche Hannovers, die Schloss- und Stadtkirche St. Crucis aus dem Jahre 1333, genannt Kreuzkirche, eine Ausstellung zu konzipieren.
Es gilt, dem Charakter der Kirche mit ihrer Funktion als Gotteshaus einer aktiven Studierendengemeinde zu begegnen und gerecht zu werden und gleichzeitig die auszustellenden Werke angemessen im rechten Licht erscheinen zu lassen. Dies kann und darf für beide Seiten, Kirche und Künstler, nicht „ungestört“ vonstatten gehen:
Die Kirche will ihre Aufgaben erfüllen und ihre gewohnten Rituale vollziehen. Jede künstlerische Arbeit beinhaltet immer die Auseinandersetzung mit Wirklichkeit und strebt in diesem Sinne nach Aufmerksamkeit und Diskurs. Mit diesen beiden zum Teil gegensätzlichen Interessen haben es die Ausstellenden zu tun. Das kommt einer Einlassung in einen vorbestimmten Rahmen gleich. Zudem müssen sie sich mit der Wechselbeziehung zwischen ihrem Werk und dem räumlichen Kontext der Kirche befassen.
Pragmatisch betrachtet wirft allein die Tatsache, dass die Kreuzkirche weder über Hängeleisten verfügt, noch die Wände in irgendeiner Weise mit Nägeln oder Ähnlichem zum Befestigen von Objekten versehen werden dürfen, viele Fragen auf. Lösungen müssen gefunden werden, um Bilder präsentieren zu können, ohne auf die Substanz der Kirche einzuwirken.
Die Ausstellungsgruppe beschließt, mögliche Stellwände oder Podeste für jedes Werk individuell zu konzipieren.
Zu Beginn der Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten der Kreuzkirche wird der Bau von Podesten diskutiert. Sie sind stabil und können flexibel im Raum umgestellt werden. Für Bilder, die sich in Augenhöhe befinden sollen, bedürfen sie jedoch einer Höhe und wegen ihrer Stabilität auch Tiefe, die die Podeste aufgrund ihrer Ausmaße in Bezug zum ausgestellten Objekt zu massig und im Vordergrund stehend erscheinen lassen. Das präsentierte Werk „geht unter“!
Im März 2009, als das Seminar Ausstellungsmanagement noch nicht begonnen hat und ich von einer geplanten Ausstellung noch nichts weiß, bekomme ich von meinen Freunden eine geführte Besichtigung der Kreuzkirche geschenkt. Die Führung findet im Mai statt, als der Ausstellungsort „Kreuzkirche“ bereits feststeht. Einige Seminarteilnehmer nehmen auf meine Einladung hin teil. Die Religionspädagogin weist auf die alten, an den Wänden vertikal befestigten Ritzgrabplatten mit ihren darauf erzählten Familiengeschichten als ein besonderes Charaktermerkmal der Kreuzkirche hin.
Während häufiger Besuche werde ich mit dem Ort und seinen besonderen Merkmalen vertraut. In Anlehnung an die Grabplatten gelange ich zu der Idee von „Pulten“ zur Präsentation meiner Bilder. Ich skizziere mehrere Varianten, erprobe die Qualitäten von frei an die Wand gelehnten Platten und entscheide mich in Rücksprache mit Susanne Weigand-Gundermann und Dennis Improda für folgende Lösung:
Die Pulte bestehen aus einer stabilen Holzplatte, deren auf dem Boden stehende Kante entsprechend des Winkels, mit dem die Platte an der Wand lehnt, abgeschrägt ist. Auf dem Pult ist gemäß der Breite des Bildes eine Leiste mit Nut befestigt, auf der das Bild mit der oberen Kante der Platte abschließend steht. Da die Wände der Kreuzkirche leicht gelblich-rosé-pastellfarben sind, entscheide ich mich für einen Anstrich mit Cremeweiß RAL 9001 Seidenmatt.
Die zwölf Pulte mit den Bildern finden in ihrer vertikalen Ausrichtung und der geringen Tiefe ihrer Konstruktion, positioniert an „freien“ Wänden, in den Grabplatten der Kreuzkirche ihre Entsprechung. Ihre Schlichtheit und ihre geringstmögliche Oberfläche – Plattenkante und Leiste, wenn man die Platte selbst als vertikales Element wie die Wand betrachtet – lässt die Pulte als filigrane Tragkonstruktion erscheinen, was mit dem Inhalt der Bilder in Einklang steht.
Zwölf Bilder auf je einem Pult – in Anlehnung an zwölf Apostel – befinden sich in dem Raum zwischen Altar und Bestuhlung; fünf auf der linken und symmetrisch angeordnet fünf auf der rechten Seitenwand als auch zwei auf der Stirnwand rechts neben der Kanzel.
Vor den fünf Bildern auf textilen Bildträgern an der linken Seite steht ein künstlerisch bedeutsamer Taufkessel aus dem 15. Jahrhundert. Sie geben dem schwarzen Kessel einen seitlichen Rahmen in leuchtenden Farben – umso mehr, als die durch das gegenüberliegende bleiverglaste Fenster einfallenden Sonnenstrahlen das Ensemble mit Lichtpunkten erhellen und mit Schatten geheimnisvoll verdunkeln. Dieses Lichtspiel lässt Bild und Pult durch die gemeinsame Lichtoberflächenstruktur miteinander verbinden und eine neue Bildlichkeit entstehen. Dies ist der Ort in der Kreuzkirche, an dem die Taufe vollzogen wird. Setze ich das christliche Ereignis in Beziehung zu meinen Werken, so umgibt ihre teilweise reliefartige, textile Gestalt den Täufling und sein Umfeld auf begreifbare Weise mit einer schützenden Hülle.
Das Wort (2009)
Dia-Projektion in der Kreuzkirche
Eine weitere Einrahmung des Taufkessels bildet meine Lichtinstallation „Das Wort“ an der Stirnwand, während auf der gegenüberliegenden Seite symmetrisch dazu ein Wandleuchter Licht spendet. „Ein glänzend Ding“ birgt in sich nicht nur eine in Sprache transferierte Bildlichkeit, sondern ist auch mit dem Sinnbild von „Am Anfang war das Wort“ und „Es werde Licht“ verknüpft. „Halbmondgeformt“ gestaltet sich die Raumsituation um den Taufkessel. Eine Besucherin der Ausstellung interpretierte den Text als eine Beschreibung der Druckmaschine, die sich öffnet, um schließlich im Akt des Pressens den Farbdruck auf die textilen Bildträger zu vollziehen. Es ist ja in der Tat die gleiche Handlung des Öffnens und Zusammendrückens – ob Zitronenpresse oder Druckmaschine – die Einsicht ermöglicht, oder analog dazu – des Öffnens und Komprimierens, die zu Erkenntnis führt.
Ein glänzend Ding
… mit Reflexionen der Kirchenfenster
Die fünf Bilder auf der gegenüberliegenden rechten Raumseite unter dem Fenster sind ebenfalls in gleichmäßigem Abstand angeordnet. Ihre Bildträger – Fotopapier und Folie – glänzen auch ohne direkte Bestrahlung. Zu bestimmten Tageszeiten fällt Licht auf die Fotografien und ruft durch mehrfache Spiegelungen Verfremdung und Bewegung hervor. Ein Fenster mit Gitterstruktur spiegelt sich im Bild. Es ähnelt dem über den Werken vorhandenen und lässt den Betrachter das sich spiegelnde Fenster im Raum suchen. Nicht nur die Wahrnehmung des Bildes vertieft sich durch den Lichteinfall und die damit verbundenen Spiegelungen, auch eine Öffnung der Raumwahrnehmung ist die Folge. Räumliche Bezüge können hergestellt werden und den Kirchenraum erweitert erfahrbar machen.
In diesem rechten Seitenflügel mit der Kanzel liegt Ruhe. Sie findet sich in den zwei Bildern auf Pergament an der Stirnwand wieder. Im Kontrast zu den anderen Werken fehlt ihren matten Pastelltönen jeglicher Glanz. Die Motive sind wie durch Nebel entrückt. Die textile Stofflichkeit wird spürbar. Im Gegensatz zu den Bildern auf Fotopapier und Folie, deren Glanz zum Abrücken und von Weitem Anschauen veranlasst, möchte sich der Betrachter hier nähern, um zu be-greifen. Mit ihrer wahrnehmbaren textilen Gegenständlichkeit stellen die „Pergamente“ als Ruhepol eine Verbindung her zwischen den Fotografien auf textilen Bildträgern im linken Flügel und jenen auf Papier und Folie im rechten.