Eva Koethen: „Kunst-Bildung sichtbar machen!“

Lebenslänglich lässt Zwiespältiges anklingen und soll das auch tun: nicht nur als Verhängnis einer lebenslänglichen Haftstrafe, sondern auch als Bedrohung eines mittlerweile zum Schlagwort verkommenen „lebenslänglichen Lernens“. Denn wir lernen ohnehin, immerzu, anders können wir gar nicht leben. Also scheint es um etwas ganz anderes zu gehen, wenn diese Daueraufgabe gebetsmühlenartig propagiert wird. Das lebenslange Lernen soll uns vor allem aufrüsten und dient der Anwendbarkeit auf kurzzeitig nützliche Kompetenzen und Qualifizierungsportionen, wie der Bildungsforscher Jürgen Oelkers feststellt. Es eröffnet nicht die Horizonte des Wahrnehmens, Verstehens und Urteilens, die eine Bildung fürs Leben ausmachen. Man ziele vielmehr auf eine neue „didaktische Formatierung“, die darauf ausgerichtet sei, Lernen zu beschleunigen und es so ein Leben lang erfolgsfähig zu halten. In schöner Pointierung nennt Oelkers es „sehr gebildet“, wenn man sich überflüssigen Zumutungen entziehen könne – und was sei eine größere Zumutung als lebenslänglich lernen zu müssen!1

Foto aus der Ausstellung im Mendini-Haus

Gleichwohl ist Bildung – vor allem in der Ausbildung – eine Zumutung eigener Art, da sie viele vergeblich erscheinende Anstrengungen und Umwege verlangt. Genau diesen unvorhersehbaren und unwägbaren Umständen sind wir lebenslänglich verhaftet. Wir werden in Haft genommen von unseren jeweiligen Lebensbedingungen und -erfahrungen und müssen uns mit ihnen auseinandersetzen, ob wir das nun als Reichtum auffassen oder eher zu verleugnen trachten. Indessen entsteht in diesen unausgesetzten, zugleich vor- und rückwärts gewandten Prozessen der Rohstoff für die Kunst, den wir gemeinsam bearbeitet haben. Denn dem Eigenen verbunden zu sein und es gleichzeitig spielerisch zu nehmen, birgt ein ungeheures Potenzial: es gibt die Freiheit, selbst bestimmt das Eigene als Fremdes zu gestalten und schenkt die Freude, den allmählichen und spontanen Veränderungen zugleich engagiert und distanziert zuzusehen. Was bei diesem unvorhersehbaren Prozess herauskommt, muss naturgemäß unterschiedlich und vielfältig sein, individuell und biografisch geprägt. Das wirkt sich insbesondere dadurch aus, dass in der Gruppe der „Lebenslänglichen“ alle Alterstufen vertreten sind: von jungen Studienanfängern bis zu gestandenen Berufs- und Welterfahrenen, die wieder oder neu an die Universität finden – ein nicht unproblematischer, aber fruchtbar zu machender Umstand! Jeder bringt andere Themen und Medien in die Auseinandersetzung ein und findet andere Formen des Ausdrucks. Damit und daran zu arbeiten – allein, was das ungleiche Zeitkontingent der Jung- und Seniorstudierenden betrifft – um die vielen parallelen und sich überschneidenden Prozesse überhaupt kommunizierbar und für andere aussagekräftig zu machen, schließlich die vielfältigen Ansätze künstlerisch so zu verdichten, dass jedes Werk für sich bestehen kann und gleichzeitig das Ganze stützt, das war ein gewaltiges Stück Bildungsarbeit. Während der intensiven Arbeit an den sich verschränkenden Prozessen bildete sich auch bei mir selbst ein Wortgefüge heraus, das sich im Lauf von einigen Tagen konzentrierte und das ich dieser Ausstellung widmen möchte.

Nebenher und nach unserer künstlerischen Arbeit für die erschaffenen Dinge geeignete Räume zu finden, um sie dann mit den so unterschiedlichen Atmosphären der Orte in Dialog zu bringen, bescherte uns bis zuletzt eine Fülle an Überraschungen und ästhetischen Herausforderungen. Das Ganze schließlich für die Öffentlichkeit zu organisieren, sorgte für ein weiteres riesiges Arbeitsspektrum. Für ihr Engagement und ihre Ausdauer möchte ich meinem Team ganz herzlich danken. Das gilt vor allem auch Susanne Eser, einem wirklichen Organisationstalent. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei unseren Kooperationspartnern und den Verantwortlichen für die sakralen und profanen Räume, welche uns gerade mit ihrer Unterschiedlichkeit inspirierten und so unsere Kunst wiederspiegeln. Diese Orte verlangten nach einer eigenen Würdigung, so dass sich das Wort gleichsam an die drei Räume der Kunst richtete, die unsere sensibel eingefügten, gleichwohl für sich selbst sprechenden Ausstellungsstücke beherbergten: an den „White Cube“ des Mendini-Medienhauses, die traditionsreiche Kreuzkirche und den lebendigen Multifunktionsraum der Katholischen Hochschulgemeinde an der Basilika St. Clemens. Im Wechsel mit den Improvisationen des Musikers Andreas Burckhardt brachte der Philosoph und Künstler Reinhard Knodt die jeweiligen Orte und Atmosphären mit seinen Worten zum Klingen.

Anmerkung

1 Sich Überflüssigem zu entziehen, um sich dem Über-Fließen des Lebens anheim zu geben, knüpft an die alte Kunst des lebenslänglich geübten Müßiggangs an, die Gisela Dischner (Hannover – Mallorca) in ihrem gerade erschienenen „Wörterbuch des Müßiggängers“ ins Blickfeld rückt. Zum Ausstellungsabschluss fand zu Ehren der sich schon lange mit Thema beschäftigenden Autorin ein kleines, die „Lebenslänglichkeit“ aufgreifendes Symposium statt, das Peter Antes (Hannover) aus Sicht der heutigen Universitätssituation einleitete. Richard Faber (Berlin) erinnerte an die Verbindung der Muße zu einer aristokratischen Haltung am Beispiel der Schriftstellerin Tanja Blixen und Werner Oeder (Zürich) führte die jüngere Vergangenheit der Zür’cher Bewegung der 1980er Jahre vor Augen, indem er das damalige Lebensgefühl in einer Collage aus Bildern, Texten und Musik vergegenwärtigte.