Reflexion zur Video-Installation „Reproduktionen“
Eine Auseinandersetzung mit der Handykamera als allgegenwärtiges Reproduktionsmedium
Eine Grundeigenschaft der Handykamera ist, dass sie immer mitgeführt werden kann. Hier zeigt sich stärker als bei anderen Kameraformaten die Triebfeder, Augenblicke zu reproduzieren. Diese Eigenschaft wird in der Installation „Reproduktionen“ gesteigert, indem die Kamera des Handys selbst Bestandteil einer fototechnischen Reproduktion ist. Durch diese Zuspitzung der Eigenschaften des Mediums und die Unterbrechung der Reproduktionskette durch die handschriftlichen Einschreibungen werden die Spannungsfelder eröffnet: Neuartigkeit und Verdoppelung, Einzigartigkeit und Vervielfältigung, Realität und Abbild, „objektives“ Medium und subjektiver Schöpfer.
Formatfüllend wird auf 18 Schwarz-Weiß-Kopien im Din-A4-Format ein 2:41 Minuten langes Video in einer Endlosschleife projiziert. Das Video bleibt einige Sekunden dunkel und in den Konturen unscharf. Das untere Drittel des Bildrandes ist zu der Zeit heller. Immer wieder taucht ein grellgrünleuchtendes Licht auf, das am linken Bildrand beginnt und sich von links nach rechts bewegt. In dem Augenblick, in dem das Licht die Bildmitte erreicht, erscheint das Bild weiß und erleuchtet somit den Ausstellungsraum. Zu hören ist zunächst ein leises Summen, das während das Licht über den Bildschirm gleitet, lauter hallt und von knackenden Geräuschen begleitet wird. Es sind die typischen Geräusche eines Kopiergerätes.
Die hochformatigen Fotokopien der Projektionsfläche, welche das Video in ihrem Verlauf unterschiedlich intensiv durchdringen, zeigen links oben ein Mobiltelefon, das mit geöffneter Kamera zur Hälfte in das Bild hineinragt: Linse und Blitzlicht sind zu erkennen. Auf der Kopie in der rechten, unteren Ecke ist das Mobiltelefon so zu sehen wie es von einer Hand mit zwei Fingern gehalten wird als bediene diese die Kamera. Im Bereich des Unterarms löst sich die Hand in den Hintergrund auf. Das Mobiltelefon ragt auf den anderen Kopien unterschiedlich weit in das Bild hinein. Der obere Rand, in den auch das schwarze Telefon hineinragt, ist hellgrau. Je tiefer der Blick nach unten wandert, desto dunkler wird der wahrzunehmende Grauton. Über das ganze Bild ziehen sich unregelmäßig verlaufende dunkle Linien, die sich teilweise überschneiden und in ihrer Farbigkeit vom Hintergrund unterscheiden. Des Weiteren zeigen sich hier, ebenso wie bei der oben beschriebenen Kopie der Hand, hellere Streifen, die sich über das gesamte Bild ziehen und im unteren Drittel deutlich hervortreten.
Das Fotokopiergerät wird zu einem Sinnbild für Reproduktion schlechthin. Der Titel der Videoinstallation impliziert eine Reproduktionskette, die entsteht, indem zwei Medien, die beide der Reproduktion dienen, aufeinander gerichtet werden. So reproduziert die Handykamera den Vorgang der Reproduktion im Apparat des Fotokopierers audiovisuell und der Fotokopierer hält die Kamera, während diese aufzeichnet, in einem schwarz-weißen Bild fest. Beim letzteren ist die Aktion der Kamera nicht sichtbar, jedoch wird sie im Zusammenhang mit dem laufenden Video rekonstruierbar und als eine Vorstellung beim Betrachter provoziert.
Die räumliche Übertragung des Kopiervorgangs bei geöffneter Klappe suggeriert, dass der Moment und der Betrachter selber kopiert und vervielfältigt werden. Das Gefühl sich in einem Kopiergerät zu befinden wird geweckt. Die Größe der Projektion verstärkt nicht nur diesen Eindruck, sie hat ebenfalls Einfluss auf die Qualität des Bildes. Die Bilder des Videos werden durch die großen Pixelpunkte der digitalen Aufnahme unscharf. Die großen digitalen Bildpunkte lassen Bewegungen nebulös und schemenhaft erscheinen. Unidentifizierbare Formen tauchen auf, bleiben scheinbar länger sichtbar und verschwinden verzögert.
In den Sekunden, in denen das Licht die Projektionsfläche erhellt, wird dem Betrachter ein kurzer Blick auf das innere des Gerätes ermöglicht. Kabelähnliche Erscheinungen erinnern an das Maschinenhafte und Technische des Fotokopiergeräts, das hier gefilmt wird. Die Kopien des in das Kopierfeld hineinragenden Handys stellen die Verbindung zwischen Handykamera und Kopiergerät nun aus veränderter Perspektive dar. Sie wirken durch ihre Vervielfältigung parallel zu der Endlosschleife der Videospur.
Auf einer Stellwand, der Projektionsfläche gegenüber, zeigen acht Fotokopien im Din-A3-Format verschiedene Seiten eines aufgeschlagenen Buches. Diese doppelten Buchseiten enthalten Auszüge des Aufsatzes „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ von Walter Benjamin aus dem Jahr 1939 . Alle Kopien sind in ihrer Grundform gleich: In der Mitte des Bildes sieht man eine klare, weiße Fläche, die durch einen dünnen schwarzen Strich getrennt und mit schwarzem Text versehen ist. Jenseits der Textfläche ist ein gräulicher Hintergrund zu erkennen, der unterhalb des Buches deutlich dunkler ist. Oberhalb des Buches sind ebenfalls dunklere, als Strahlen erscheinende Flächen auszumachen. Auf diesen Kopien sind erneut hellere Streifen zu erkennen, die von der Fläche der Mitte senk- und waagerecht zum Bildrand verlaufen. Der Bildrand ist ebenfalls ungleichmäßig, wobei am oberen Rand ein schwarzer Streifen zu sehen ist. Außerdem löst sich der Bildrand im oberen Bereich der rechten und linken Seite aufgrund der heller werdenden Flächen auf. Im Text sind vereinzelt, aber auf jeder Seite, Zeilen mit Bleistift unterstrichen. Mit einem verbindenden Strich wird die Textzeile mit einer handschriftlichen Anmerkung versehen.
Die Hand sowie das Handgemachte erscheinen erneut in der Fotokopie mit den handschriftlichen Aufzeichnungen und in den Kommentaren der Buchseiten. Hier wird ein Arbeitsprozess sichtbar: Es wurde unterstrichen, durchgestrichen, es wurden Verweise gezogen und ausradiert. Der hier wirkende Mensch wird damit als Initiator und Bearbeiter der Reproduktion wahrnehmbar. Trotz technischer Reproduktion bleibt der Mensch Schöpfer und schafft damit Einzigartigkeit. Die Kopien, die durch ihre Vervielfältigung charakterisiert sind und so an Einzigartigkeit verloren haben, bekommen sie in dieser Geste zurück. Durch das Medium der Schrift, die in der „Erkundung zur Handykamera“ benutzt wird, wird der Betrachter angeregt, sich an eigene Erfahrungen mit einer Handykamera zu erinnern.
Meine Kommentare auf den Kopien sind Anmerkungen, die ausgewählte Thesen Benjamins auf die Handykamera beziehen.
Korrespondenzen
Bejamin-Zitat (Seite)
„Die Dinge sich räumlich und menschlich ‚näherzubringen’ ist ein genau so leidenschaftliches Anliegen der gegenwärtigen Massen wie es ihre Tendenz einer Überwindung des Einmaligen jeder Gegebenheit durch die Aufnahme von deren Reproduktion ist.“ (16/17)
„Die technische Reproduzierbarkeit
der Filmwerke ist unmittelbar in der Technik begründet. Diese ermöglicht nicht nur auf die unmittelbarste Art die massenweise Verbreitung der Filmwerke, sie erzwingt sie geradezu.“ (19)
„…die Aura ist an sein Hier und Jetzt gebunden. Es gibt kein Abbild von ihr.“ (28/29)
„Jeder heutige Mensch kann einen Anspruch vorbringen, gefilmt zu werden.“ (32/33)
Stichwort im Glossar „Optisch-Unbewusstes“ (212/213)
Mein Kommentar
Mit der Handykamera werden
Momente eingefangen und räumlich
und menschlich näher gebracht, sie werden reproduziert. Die These findet
im Medium der Handykamera eine Steigerung.
Reproduzierbarkeit der Handykamera-
videos liegt unmittelbar in der Technik ihrer Produktion begründet –> digital –> erzwingt die massenweise Verbreitung
in gesteigertem Ausmaß, schneller + effektiver.
Schafft die Apparatur eine neue/andere Aura?
Die Verbreitung von Kameras ist durch die Verbindung des Handys mit einer Kamera gestiegen. „Jeder“ hat eine Kamera und „jeder“ wird kann gefilmt werden.
Handykamera eröffnet neue Wahrnehmungsbereiche: – unter ein Auto…, – in einer Toilette einer Diskothek…, – auf dem Fahrrad… filmen/fotografieren.
Eine Reflexion der Installation in Bezug auf die Medientheorie von Walter Benjamin (1939)
Walter Benjamin beschreibt in seinem Text die Wirkung der damals neuen Medien – der Fotografie und des Films – auf die Reproduzierbarkeit von Kunst und ihr Vordringen in die künstlerischen Verfahrensweisen. Der Autor geht von der These aus, dass grundsätzlich jede Kunst reproduzierbar ist, da sie von Menschenhand geschaffen wurde. Solche Nachbildung sei Teil der kunstgeschichtlichen Entwicklung, was sich zum Beispiel bei Schülern zeige, die in ihrer Lehrzeit die Werke ihrer Meister „kopierten“. Erste technische Reproduktionsverfahren sind laut Benjamin bereits bei den Griechen zu beschreiben, wie der Guss und die Prägung (vgl. Benjamin 2007, S. 10ff.). Mit dem Medium der Fotografie, so Benjamin, wurde die Hand von den „wichtigsten künstlerischen Obliegenheiten“ entlastet (Benjamin 2007, S.11). Schließlich drückt die Hand nun Knöpfe, schreibt oder setzt das Reproduzierte in Szene, trifft Unterscheidungen und lässt so die vermeintlich objektiven Medien, wie das Video oder die Schrift, in gewissem Ausmaß subjektiv erscheinen.
Benjamins Analyse des Verhältnisses von Original und Reproduktion können in analoger Weise auf die Handkamera bezogen werden. Die Ablösung von ihrem Original versetzt die Reproduktionen in die Lage, Ansichten hiervon durch einen neuen Blickwinkel hervorzuheben oder durch Verfahren, wie Zeitlupe oder Vergrößerung neue Ansichten zu schaffen, die sich dem menschlichen Auge sonst entziehen. Weiterhin kann das Abbild des Originals in Situationen gebracht werden, die normalerweise für das Original nicht erreichbar sind (Benjamin 2007, S.13f.). Durch die geringe Größe der Handykamera können diese in der Installation verwendeten Videoaufnahmen und Kopien erst entstehen, da die Abdeckklappe des Kopierergerätes geschlossen werden kann. Durch den Einblick in das Innere der Maschine, die Größe der Projektion und deren senkrechter Präsentation wird der Kopiervorgang aus seiner Umgebung herausgelöst und es entstehen der menschlichen Wahrnehmung bislang verborgene Bilder. Mit der Reproduktion durch die Videoaufnahme des Handys gehen noch zwei weitere Prozesse einher, die Benjamin als Auflösung des Einmaligen durch die massenweise Vervielfältigungsmöglichkeit und die Aktualisierung des Reproduzierten beschreibt (Benjamin 2007, S. 15).
Die These von Benjamin, dass sich die Art und Weise der menschlichen Sinneswahrnehmung mit der gesamten Daseinsweise der Gesellschaft über große geschichtliche Zeitraume verändert, wird zur Grundlage für die Beschreibung der Veränderung durch die technische Reproduktion (Benjamin 2007, S.14f.). Ein Charakteristikum ist nach Benjamin der Zerfall der Aura. Sie wird als etwas Ungreifbares beschrieben, das nur dem aktuellen Geschehen oder Gegenstand zuteil wird. Die Aura ist eine Erscheinung aus der Ferne, die auf dem Gegenstand oder Geschehen liegt, der oder das materiell in der Nähe ist, also ein Zusammenspiel aus zwei komplementären Zuständen. Benjamin erklärt die Veränderung, den Zerfall der Aura, mit dem Verlangen der gesellschaftlichen Massen, sich die Dinge räumlich und menschlich näher zu bringen und mit dem Verlangen, das Einmalige zu überwinden. So kann die Reproduktion einer Gegebenheit keine Aura haben, da die Aura an das Hier und Jetzt gebunden ist und es kein Abbild von ihr gibt (vgl. Benjamin 2007, S. 16f. und S. 28).
Der Moment der Reproduktion wird wieder Teil der aktuellen Realität und nicht nur zum Abbild einer vergangenen Realität. Auch in dem Werk „Reproduktionen“ wird der Videofilm zum Teil der Realität. Wenn aber die Reproduktion auch im Hier und Jetzt etwas Neues und Eigenständiges hervorbringt, kann der Reproduktion letztlich eine eigene Aura nicht abgesprochen werden. Es handelt sich dann nicht um das Abbild der Aura der reproduzierten Situation, sondern um eine Aura der Reproduktion selbst. Diese ist ebenfalls durch die Charakteristika der Reproduktion bedingt, die Benjamin für die technische Reproduktion aufstellt. Durch Störungen im Bild der Videosequenzen, die sich im Fall der Handkamera durch unscharfe Bilder und grobe Bildpunkte deutlich zeigen, wird das Medium bewusst. Es wird deutlich, dass das Video vom Kopiervorgang nicht nur dessen Abbild ist. Etwas Neues ist durch die Reproduktion entstanden, mit einer ihr entsprechenden, vom Original abweichenden Aura.
Literatur
Benjamin, Walter (2007): „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit – und weitere Dokumente“,
kommentiert von Detlev Schöttker. Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main.